Anders - Anders als Alles
Eine 30 jährige Karriere !

Nella Martinetti. Schlagzeilen und Sex-Geständnisse. Depressionen, Dreiecksbeziehung und junge Lover. Tabletten und Alkohol. Die Schweiz weiss alles über Nella. Die Schweiz kennt Nella Martinetti in- und auswendig. Oder?

Wer ist Nella Martinetti?
Ich bin ein Puzzle mit sehr verschiedenen Teilen. Eine Minestrone. Ich bin extrem. In jeder Hinsicht. Ich bin sehr gut und sehr böse. Es gibt keinen Mittelweg für mich.

Warum nicht?
Gäbe es ihn, wäre ich eine ganz gewöhnliche Frau. Dann wäre ich nicht in der Öffentlichkeit, würde nicht provozieren und wäre nicht so geliebt und gehasst, wie ich es bin.

Geliebt. Für ihr Lachen, ihre Stimme, ihre Musik. Für immer neue Schlagzeilen über ihr Privatleben. Zum Beispiel als sich Nella in den viel jüngeren Schlagersänger Claudio de Bartolo verliebte und offen zu ihm stand. Gehasst. Für ihre Provokationen. Für immer neue Schlagzeilen über ihr Privatleben. Zum Beispiel als sie ihre Bekanntschaft mit einem jungen Rockmusiker dazu nutzte, in die Medien zu kommen.

Sie haben sich in den letzten dreissig Jahren immer wieder selbst in die Schlagzeilen katapultiert. Ja, ein paar der Storys habe ich schon selbst zusammengebastelt. Das musste so sein. Denn es gab Zeiten, in denen wäre ich untergegangen, wenn ich nicht in der Öffentlichkeit gewesen wäre. Es war für mich immer etwas zwischen Spass und Drama. Die Liebe zu Claudio war echt. Aber es gibt schon Sachen, die ich bereue.

Zum Beispiel?
Die Gesclüchte mit dem Rockmusiker. Den Namen mag ich nicht mehr sagen. In jenem Moment fand ich das lustig. Manche Leute gehen ins Kino, ich amüsiere mich eben mit anderen Mitteln.

Und provozieren damit bewusst ein falsches Bild von sich.
Welches ist denn das richtige Bild von mir? Das weiss ich selber nicht. Ich bin anders.

Anders als was? Anders als alles.
Nella Martinettis Leben war anders. Die Kindergärtnerin aus Brissago TI wurde zu einer der bekanntesten Personen der Schweiz. Jedes Kind kennt Nella und ihre Lieder wie «Bella Musica».

Sie haben Millionen von Platten verkauft, grosse Hits komponiert. Aber berichtet wurde hauptsächlich über Ihr Privatleben.
Das interessiert die Leute doch viel mehr. Ich habe Hunderte von Konzerten gegeben, einige intemationale Preise gewonnen. Was hat man darüber geschrieben? Vielleicht drei Zeilen.

Mit dem Erfolg kamen auch die privaten Wirren. Für ihren langjährigen Lebenspartner, den Nella in ihrer Biografie Paolo nennt, ging sie eine Dreiecksbeziehung ein. Als Paolo sie verliess, tröstete sich Nella mit Tabletten und Alkohol. Dann kamen die jungen Männer, Claudio de Bartolo und «der Rockmusiker».

Wie kann man sich als reifere Frau in einen so viel jüngeren Mann verlieben?
Die Liebelei mit dem Rockmusiker war also ein Spass mit den Medien. Hat es Sie trotzdem verletzt, dass er danach in der Öffentlich über ihre Tabletten- und Alkoholsucht geplaudert hat?

Hat er das?
Ja.

Nella zieht an ihrer Zigarette, bläst langsam und konzentriert den Rauch aus. Das Leben sei ein Fluss, sagt sie. «Wenn es viel regnet, tritt er manchmal über die Ufer, aber er findet seinen Weg immer wieder.»

Wie siehts denn momentan in der Liebe aus?
Ich habe keinen Freund. Ich glaube, ich bleibe bei dem, was ich habe: Ein sehr schönes Zuhause mit meiner Freundin, Marianne. Eine Freundschaft mit sehr viel Respekt, die nichts mit Sex zu tun hat.

Apropos Sex: Ihre Biografie war in der Beziehung schonungslos offen. Wie haben denn die Betroffenen darauf reagiert?
Marianne und Claudio wussten Bescheid, bevor die Biografie herauskam. Trotzdem war es für Marianne eine schwierige Zeit. Für Claudio wars kein Problem, wir sind heute Freunde. Und ihr langjähriger Lebenspartner?

Wir haben keinen Kontakt mehr. Er hat einen Teil von mir zerstört. Aber was passiert ist, ist passiert.

Passiert ist viel in Nella Martinettis Leben. Vor einiger Zeit haben Ärzte herausgefunden, dass Nella unter Fibromyalgie leidet, einer chronischen Muskelerkrankung, die starke Schmerzen auslöst und nicht heilbar ist.

Was ist Fibromyalgie?
Weichteilrheuma, wie der deutsche Name lautet, ist eine chronische Muskelerkrankung, die bislang noch nicht heilbar ist. Als die enormen Schmerzen im Brustkasten, dem linken Arm und im Rücken auftauchten, vermutete ich wie die Ärzte zuerst Herzprobleme.

Wie lassen sich die Schmerzen lindern?
Nach der Diagnose bekam ich Morphium. Das Medikament hatte eine verheerende Wirkung. Ich war ständig «high». Mit Schrecken erinnere ich mich etwa an einen Auftritt in der Sendung «Talk täglich» auf Tele 24. Ich habe eine sehr schlechte Figur gemacht und möchte mich dafür beim Publikum nochmals entschuldigen. Nach drei Spitalaufenthalten habe ich mich entschieden, den Entzug alleine bei mir zu Hause in Jona durchzuführen.

Wie ist er Ihnen gelungen?
Ich dachte, der Teufel stecke in mir, aber ich hielt durch, weil ich mich nicht mehr betäuben wollte.

Wie stark schränkt Sie Ihre Krankheit ein?
Früher liess ich alle sechs Monate die Fettwerte kontrollieren und machte unzählige Diäten. Das interessiert mich nicht mehr. Heute esse und trinke ich, was mir passt. Ich will jetzt endlich leben - basta! Schmerzmittel nehme ich nur, wenn ich nicht schlafen kann. Wenn die Schmerzen zu gross werden, stelle ich mir vor, die Krankheit sei eine Bestie und ich bekämpfe sie mit einem Speer. Wegen der Krankheit kann ich nicht mehr auf der Bühne stehen. Ich hoffe nur, dass ich nicht aus Verzweiflung etwas Dummes mache. Aber bis jetzt habe ich immer die Kraft gefunden, wieder hochzukommen.

Wie geht es mit Ihrer Karriere weiter?
Da meine Krankheit so unberechenbar ist, muss ich mich wohl damit abfinden, dass ich nicht mehr auf Tournee gehen kann. Ich werde noch bei speziellen Anlässen singen oder wenn es mir nach einem Glas Wein spontan danach zumute ist - sei es im privaten Kreis oder in einem Restaurant. Dann ist es mir auch egal, ob es den Leuten gefällt, denn ich singe für mich, weil ich die Musik liebe!

Sie sind eine facettenreiche Person. Welches Bild von Ihnen gefällt Ihnen am besten?
Viele werden sich jetzt natürlich an dieses quirlige junge Ding aus dem Tessin erinnern. Die Puppe, die man aufgezogen hatte, damit sie lustig im Kreis herumtanzte, gibt es jedoch nicht mehr. Ich bin jetzt eine andere, viel interessantere Frau.

Wen meinen Sie mit «man»?
Ich will nicht alles abschieben, aber ich bin hin und wieder schon auch ausgenutzt worden: von Managern, Veranstaltern oder meinem Ex-Freund, der einst zu meinen Eltern sagte: «Merkt ihr denn nicht, dass ihr mit Nella eine «gallina» habt «que fa uova doro» - ein Huhn, das goldene Eier legt? Das hat mich sehr verletzt.

Welche Wunden taten mehr weh, die privaten oder die geschäftlichen?
Das Private hat mich mehr kaputt gemacht. Ich habe in der Garderobe oft noch bis kurz vor meinen Auftritten geweint. Dann musste ich rausgehen und für die Leute den Clown spielen. Das war ein knallharter Job. Irgendwannkonnte ich meine Tränen jedoch nicht mehr verbergen und musste auch Konzerte absagen.

Es war aber nicht alles schrecklich?
Nein, mit Tessiner Liedern habe ich als 25-Jährige schliesslich selber eine Marktlücke entdeckt - ich bin ja auch clever! (lacht) Zur Folklore konnte ich immer stehen. Für manche dümmlichlustigen Stimmungslieder habe ich mich jedoch geschämt.

Vor allem für die hochdeutschen?
Die waren sowieso totaler Schrott! Es gibt Platten, bei denen ich froh bin, dass sie nie auf CD wiederveröffentlicht wurden. Nach meinem Sieg beim GP der Volksmusik mit «Bella Musica» 1986 wollte mich ein Münchner Plattenboss zum weiblichen Tony Marshall machen. Da habe ich ihm eine klare Absage erteilt!

Welcher Musik-Sparte möchten Sie sich nun widmen?
Mein letztes Album «Cosi il tempo va» enthält Volkslieder und ist eher Kultur als Unterhaltung. Zum Jubiläum kommt nun eine Doppel-CD mit meinen grössten Erfolgen heraus. Dieses Jahr bin ich aber auch wieder kreativ gewesen. Ich habe erstmals ein Liebeslied mit deutschem Text geschrieben.

Ihr Image haben Sie aber nicht nur mit Ihren Liedern beeinflusst, sondern auch mit den Gefühlen, die Sie den Medien anvertrauten. Weshalb sind Sie so offen?
Am Anfang waren die Journalisten für mich eine Art Beichtväter. Später versuchte ich über sie zu erreichen, dass die Leute Freude oder Leid mit mir teilen. Teilweise wurde mein Vertrauen missbraucht.

Daran sind Sie teilweise aber nicht ganz unbeteiligt. Haben Sie Ihre Skepsis nicht auch zur Seite geschoben, weil das Rampenlicht lockte?
Stimmt. Das war naiv. Ich habe aber daraus gelernt. Als mich eine Zeitung bei der Premiere von «Salto Natale» mit einem jungen Fussballer zusammen fotografieren wollte, den ich nicht kannte, weigerte ich mich. Ich hatte den Verdacht, dass sie ihn als meinen neuen Freund darstellen wollten.

Von wem hagelte es mehr Kritik, als Sie mit Claudio de Bartolo liiert waren - Von Männern oder von Frauen?
Da habe ich keinen grossen Unterschied festgestellt. Aber auffällig ist doch: Bei Maja Brunner regt sich niemand darüber auf, dass sie einen 25 Jahre jüngeren Partner hat. Nur bei einem mütterlichen Typ wie mir kann die Liebe doch nicht echt sein!

Ein älterer Herr mit Hauch wäre als Liebhaber einer jungen Frau sicher besser akzeptiert ...
Selbstverständlich. Das Kapitel «junge Männer» ist für mich jedoch abgehakt. Insbesondere seitdem ich mit jemandem zusammen war, mit dem man nicht einmal ein vernünftiges Gespräch führen konnte.

Wollen Sie seither nicht mehr an der Seite eines Mannes aufwachen?
Ich habe genügend Erfahrung gesammelt, um sagen zu können, dass es schön ist, den Sex zu teilen, danach aber getrennte Schlaf- und Badezimmer aufzusuchen. Im Idealfall kann man sich beim Frühstück wieder sehen. Jede andere Bettromantik ist reine Hollywood-Fantasie! (lacht)

Was macht Sie glücklich, Nella?
Wenn mir jemand sagt, dass ich schön bin. Ich weiss, dass er lügt, aber das macht mich glücklich.

Nella lächelt, schliesst die Augen und beginnt zu singen. Edith Piaf, voll und dunkel. «Que reste-t-il de tout cela?» Was bleibt von all dem?

Was würden Sie heute anders machen?

Ich würde heute Kindergärtnerin in Brissago bleiben.